Die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Mütter sind enorm. Bedauerlicherweise existiert noch nach wie vor ein traditionelles Mutterbild, das allerdings mit zusätzlichen Aufträgen ausgestattet wurde: Zu Mental Load, Betreuungspflichten, Erziehungsarbeit, außerschulischer Förderung existiert ein von den sozialen Medien initiierter Selfcare-Narrativ sowie das hartnäckige Motiv der Karrierefrau, die alles unter einen Hut bringen soll und dabei glücklichst gesinnt sein möge. Wie erlebst Du diesen Druck … ist es Dir gelungen, einen Coping-Mechanismus zu etablieren? Wie steht das alles in der Relation zu den Erwartungen an Dich selbst?
Meines Erachtens funktioniert dieser Prozess, namentlich der Kampf gegen das Patriarchat, viel zu langsam. Die gesellschaftlichen Erwartungen an Geschlechterrollen sind noch lange nicht dort, wo sie sein sollen. Selbst im Freundeskreis erschrecke ich manchmal, wie tief manche Stereotypen verankert sind. Wenn sich Väter um ihre Kinder kümmern, erhalten diese viel mehr Zuspruch, Achtung und Lob. Äußerungen wie: „Wow, ur toll, dass sich der Vater auch für das Kind interessiert (…)“ stammen auch aus meinem näheren Umfeld. Niemand würde dasselbe über eine Mutter sagen. Was ich damit sagen möchte, ist, dass es, wenn es um Rollenverteilungen bei der Kindererziehung geht, echt absurde Ansichten gibt – auch im bildungsnahen, links-ideologischen Milieu.
Bezüglich Mental Load und gesellschaftlichem Druck: Das ist so präsent. Ich hab immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich früher von der Arbeit gehen muss, um Luna vom Kindergarten abzuholen … ich muss dazu sagen, wir haben ein Gleitzeitmodell und „früher gehen“ bedeutet hierbei, dass alles in diesem Gleitzeitrahmen passiert. Es mag wirken, als würde ich früher Feierabend machen, doch tatsächlich arbeite ich, bis Luna schläft. Insgesamt ist es einfach viel mit einem Vollzeit-Job, Kind und Ehrenamt. Ein Kind zu betreuen ist jedenfalls auch Arbeit und es gibt dafür kaum Anerkennung, weil es eben privat passiert. Darüber hinaus existiert auch ein irrsinniger Druck bezüglich des Körperbildes der Frau nach der Geburt. Es wird erwartet, dass man nach der Geburt gleich einmal so aussieht, wie vor der Schwangerschaft … alles sollte möglichst schnell schlank und straff sein. Ich hab oft das Gefühl, es sei erwünscht, dass Frauen und Mütter so auftreten, als wäre alles ganz leicht: Die problemlose Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft ... gleichzeitig möge man überall grandios performen, super dabei aussehen, entspannt sein und immer nett und freundlich agieren. Das resultiert darin, dass man ständig in die Situation kommt, sich mit anderen vergleichen zu müssen, obwohl man das nicht möchte. Aber wir leben eben in einer Leistungsgesellschaft.
Apropos Selfcare: Im Grunde geht es hier um die Abdeckung grundlegender Bedürfnisse, einem Leben vor und nach der Lohnarbeit, abseits der Care-Arbeit. Würdest Du sagen, dass die essentiellen Bedürfnisse von Müttern unter den aktuellen politischen Voraussetzungen bzw. der gegebenen Infrastruktur, die in Bezug auf Kinderbetreuung geboten wird, gestillt werden können?
Das ist meines Erachtens schon alleine deshalb nicht möglich, weil Kinder ganz offensichtlich nicht im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen … es ist keine politische Agenda, Kinder wichtig zu nehmen. Die Bedürfnisse von Kindern und Eltern werden oft nicht ernst genommen, was vor allem zu Pandemiezeiten durch die Schließung der Kindergärten und Schulen evident wurde. Es wurde einfach als selbstverständlich betrachtet, dass Kinderbetreuung und Homeoffice parallel geschehen können. Zudem gibt es so viele Aspekte und Situationen, in welchen Kinder einfach nicht mitgedacht wurden – Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Absolut ausbaufähig ist also die Kinderbetreuung, vor allem am Land. Durch die fehlende Infrastruktur gerät man als Mutter rasch in den Teufelskreis, immer Teilzeit arbeiten zu müssen, was wiederum politisch ja auch nicht erwünscht ist, und andererseits gerät man gleichzeitig in die finanzielle Abhängigkeit von Beziehungspartnern. Aber es ist nicht nur die fehlende soziale Infrastruktur, es ist auch die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung. Es fängt damit an, dass es Räume gibt, in welchen Kinder einfach nicht erwünscht sind … zumindest toleriert man sie nur, solange sie möglichst leise und unauffällig sind. Ich hab schon oft erlebt, dass man mir in Restaurants oder Öffis genervte Blicke zuwarf, wenn Luna geweint hat. Familie und Kinder sollten einen viel höheren gesellschaftlichen Stellenwert haben, sie sind immerhin unsere Zukunft und werden auch, wenn man es pragmatisch betrachtet, unsere Rente bezahlen.